Aus dem Leben einer INTREGRATIONSKLASSE

 (Aus verständlichen Gründen wurden alle Namen geändert. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Chris ein behindertes Kind ist.)

Wir sitzen im Kreis. Heute ist unsere Gesprächsstunde. Einmal pro Woche besprechen wir all das, was im Schulalltag so anfällt : Elterntermine, Organisationsprobleme, Konflikte... In der Klasse herrscht eine zwanglose Atmosphäre. Manche Schüler färben hingebungsvoll an einem Mandala. Aber sie sind ganz Ohr. Und sie sagen, was sie zu sagen haben. Eben haben wir die Diskussion über ein unangenehmes Disziplinproblem abgeschlossen. Mit einem für jeden annehmbaren Kompromiss. Ohne Strafen ! Für morgen ist eine Prüfung angesagt.

Die wird nicht gut werden, meint Nina.

Lehrerin : Wieso glaubst du das ?

Nina : Nein, mein Opa war sehr krank.

Lehrerin : Und, geht es ihm jetzt besser ?

Nina : Nein - (kaum hörbar)

Ich wage zu fragen : Ist er tot ?

Kopfnicken....

Chris : Arme Nina. Bist du viel traurig ?

Betroffenheit bei allen. Wir sprechen den Schmerz des Verlustes an, das Verlassenwerden, die Angst...
Wir sprechen vom Abschiednehmen und von dem was unseren Schmerz lindern kann. Viele haben schon Erfahrungen mit dem Tod, alle reden mit... Nina taut auf, spricht ein wenig über ihr Gefühl.

Unvermittelt stehen die Fragen im Raum  auf die es ankommt: Warum müssen wir sterben ? Wo ist man nach dem Tod ? Hat das Leben eigentlich einen Sinn ? Ich versuche nicht auszuweichen, nicht zu verdrängen, nicht zu beschönigen, meine Lebensauffassung nicht aufzudrängen.. Jeder muss sich diese Fragen selber beantworten. Jeder für sich !

Und dann die unausweichliche Frage :
Hat jedes Leben einen Sinn ?
Ich weiss nicht mal, wer sie gestellt hat.

Kurze Pause.

Betroffenheit.

Dann Jérôme : Natürlich, schau mal Chris. Ohne Chris wären wir nicht so, wie wir sind.

Paul : Ja, nicht so verständnisvoll

Annie : und nicht so hilfsbereit

Erni : und hätten nicht so viel Spass.....

 Und Chris? Wie verkraftet ein behindertes Kind so ein Gespräch ? Hat das nicht Folgen ? Ja natürlich hat es Folgen ! Positive ? Urteilt selbst.
Wie es weitergeht, weiss ich nur aus dem Bericht der Mutter.
Chris kommt nach Hause, voll Trotz und Auflehnung. Nein ! Weinen ! Einfühlsame Fragen der Mutter.
Da bricht es aus ihm heraus : « Ich bin behindert ! Wo ? » Dann zum allerersten Mal die Frage « Warum ? ».
Die Mutter kann nichts anderes tun als die Tränen trocknen, die Fragen beantworten und darauf hinweisen, dass alles einen Sinn hat. Auch wenn wir ihn nicht verstehen. Noch nicht !
Nach dieser Krise kehrt Ruhe ein, Gelassenheit, Ausgeglichenheit, Fröhlichkeit.
Chris ist auf dem schwierigen Weg der Selbstfindung ein gutes Stück vorangekommen.

So geschehen am 15. Oktober 1998,
in einer luxemburgischen Integrationsklasse
bezeugt von der Klassenlehrerin.

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