Für eine veränderte Bewertungspraxis
Seit ich als Lehrer arbeite, bin ich unzufrieden mit der gängigen Bewertungspraxis und
dies aus folgenden Gründen:
- Noten geben vor objektiv zu sein und werden von den meisten Leuten auch so betrachtet.
In Wirklichkeit sind sie überaus subjektiv, denn abhängig von den Schwerpunkten
die der Lehrer setzt (Beispiel), von
seiner Art und Weise zu bewerten, von der Befindlichkeit des Kindes am Tag der
Prüfung,....
- Noten fördern ein gewisses Nutzdenken: Kinder lernen bald nicht mehr wegen der
Sache an sich sondern nur noch um genügend Punkte zu erhalten.
- Noten beschreiben die Kinder als Könner oder Nicht-Könner. Dabei werden lernbegabte
Kinder die sich wenig anstrengen belohnt, Kinder mit Lernschwierigkeiten die sich
anstrengen werden abgewertet. Demzufolge sind Noten ungerecht. Sie
erschweren sowohl eine ermutigende Leistungserziehung als auch eine integrative
Pädagogik.
Heide Bambach bringt es auf den Punkt wenn sie sagt:
"Wer sein Bestes gibt, muss sich gut fühlen dürfen. Nur wer sich gut fühlt kann
sein Bestes geben."
- Schlechte Noten schwächen das Selbstbewusstsein des Schülers was dann wiederum
zu schlechten Noten führen kann. Sie wirken demotivierend.
Allgemein ist es nicht gut, wenn Kinder ihr Selbstbild danach ausrichten ob sie den andern
vorauseilen oder hinterherhinken.
- Der Zwang zur Notengebung verführt LehrerInnen dazu im Unterricht Inhalte zu bevorzugen
die später gemessen werden können. Viele Grundfertigkeiten ("basic skills" -
siehe unten) lassen sich jedoch nicht in Noten fassen. Oder wie benotet man "liest
gerne, es fehlt ihm nur noch ein bisschen an Ausdauer" oder "kann gut zuhören
und seine eigenen Ideen in der Gruppe vertreten" ?
Vor sieben Jahren habe ich erstmals versucht meine Bewertungspraxis zu verbessern.
Anstatt einer globalen Nummer habe ich den Kindern Noten für jede in der Prüfung
abgefragte Teilfertigkeit gegeben. Dies hatte mehrere Vorteile:
- Ich konnte den Kindern die Möglichkeit geben Teilfertigkeiten noch zu verfestigen und
die entsprechende Aufgabe einer Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt zu wiederholen.
- Der Einfluss unterschiedlicher Gewichtung der einzelnen Prüfungsaufgaben auf eine
globale Nummer konnte ausgeschaltet werden.
- Man bekam einen genaueren Überblick über momentane Stärken oder Schwächen eines
Schülers. (siehe Beispiel)
Aber, es sind immer noch Noten!
Dem Zeugnis habe ich jedem Kind einen persönlichen Lernbericht beigelegt. Nur so
lässt sich eine Entwicklung (die weit über das Kognitive hinaus geht !) über mehrere
Jahre dokumentieren. Leistung wird hier nicht mehr im engen Rahmen der Leistungsfächer
gesehen, die sogenannten "basic skills" (Grundfertigkeiten), wie Initiativgeist,
Zuverlässigkeit, Ausdauer, Dialogfähigkeit,...), Bemühungen und persönliche
Fortschritte, das Verhalten in der Gemeinschaft, eigene Stärken und Schwächen,...können
angemessen gewichtet und vor allem reflektiert werden.
- Lernen ist Bewegung. Jedes Kind lernt ständig hinzu, und
das auf allen Gebieten (Sprache, Denken, Sozialkompetenz, Selbständigkeit, Kreativität,
"Weltverständnis",...). Noten zeigen diese vielschichtigen Entwicklungen nicht.
Sie sind statisch, lediglich auf ein paar Momente (Prüfungen) und ein paar mehr oder
weniger messbare Fertigkeiten bezogen. Berichte zeigen auf, welche Entwicklung von den
Kindern zurückgelegt wurde und verweisen schon automatisch auf weitere
Entwicklungsschritte die folgen werden.
Auch in diesem Jahr habe ich für jedes Kind einen Lernbericht verfasst.
Evaluation findet laufend statt, Prüfungen mache ich keine und gebe auch keine Noten.
|
Wer Berichte schreiben will, findet in dem Buch "Lehrer beobachten
Schüler" von A.Langer/ H.Langer/ H.Theimer ( Prögel Praxis 181, Oldenburg Verlag,
ISBN 3-486-98647-3) sehr brauchbare Hilfen.
Zum Hineinfühlen in die Problematik der Bewertung empfehle ich die Videoaufzeichnung
eines Vortrags von Heide Bambach: "Helfen Noten Kindern zur Leistung?" (
Bestellnummer 32077 beim Friedrich Verlag), sowie ihr Buch "Ermutigungen. Nicht
Zensuren." (ISBN 3-909081-68-1, Libelle Verlag ) |
zurück