Vor ein paar Tagen ist mir etwas Seltsames passiert, oder besser gesagt mir und meinem Freund Leo. Es war ein kalter, regnerischer Frühlingstag und alle lagen gelangweilt im Haus herum. Ich lag auf dem Sofa und las ein stinklangweiliges Buch, meine Zwillingsbrüder schliefen im Bett und meine Eltern saßen auf dem Küchentisch und diskutierten über Vaters Arbeit. Mein Hund Lolly spielte mit ihrem Quietsche-Entchen, nicht mal sie hatte Lust bei dem "Scheißwetter" einen Fuß vor die Tür zu setzten. Ich gähnte ungefähr alle 2 Sekunden, so langweilig war mir. "Dieses Wetter ist wirklich das Allerletzte !", seufzte meine Mutter und schaute nach draußen. "Und wir sind mitten im Frühling !", fuhr sie nach einem Kopfschütteln fort. Ich schlug mein Buch wütend zu und griff zur Fernbedienung. "Sogar im Fernsehen ist nichts los, man muss sich doch irgendwie beschäftigen können !", seufzte ich nun auch und blätterte in der Kinozeitschrift. Plötzlich kam mir eine Idee. "Ich könnte doch mit Leo ins Kino gehen, der neue Film von Mel Gibson läuft in einer halben Stunde !". Ich sah meine Eltern flehend an und rannte, nachdem mein Vater genickt hatte, zum Telefon. "Hi Leo, hier ist Judi ! Haste Lust auf Kino ?", fragte ich meinen besten Freund.

Um halb drei trafen wir uns dann vorm Kino bei den Kassen. "Hallo Judi ! Gut, dass du mich beim Langweilen unterbrochen hast !", kam er jubelnd angerannt und zeigte auf den Eingang. "Wollen wir ?"

Als wir die Tickets, Popcorn und etwas zu Trinken gekauft hatten, gingen wir in den Saal und suchten zwei Plätze. Wir saßen schlussendlich in der letzten Reihe. Dann fing auch schon der Film an. Leo und ich beobachteten Mel Gibson, wie er ein dunkles Schloss betrat und langsam sein Schwert herauszog. Der Film schien spannend zu sein. Aber als der Film schon ungefähr eine viertel Stunde gelaufen war, schlief Leo ein und machte komische Geräusche, als hätte er einen Alptraum. "Wenn du glaubst, dass ich dir dafür noch eine Tüte Popcorn kaufe, hast du dich geschnitten !", flüsterte ich lachend und stieß ihn in die Rippen. Doch er wachte nicht auf, sondern schrie und fuchtelte immer lauter. Alle starrten ihn an. "Jetzt hör doch auf, Mensch ! Oder du bekommst eine Coladusche !", murmelte ich ein zweites Mal und kratzte ihn am Arm. Er stieß nur einen kleinen Schrei aus und stand auf. Dann ging er langsam, wie in der Zeitlupe, nach vorne zur Leinwand. "Jetzt reicht’s ! Was soll das, komm sofort zurück ?!", schrie ich mittellaut und rannte ihm hysterisch hinterher. Aber irgendein Idiot hatte mir ein Bein gestellt und ich Trottel bin natürlich darüber gestolpert. Und schon war Leo unten. Alle Leute starrten mich und vor allem auch ihn an. Darum setzte ich mich schnell wieder auf meinen Platz. Leo streckte seine Hand langsam gegen die Leinwand und machte einen Schritt nach vorn. Es sah so aus, als wollte er in die Wand hineingehen. Ein grelles Licht drang durch seinen Körper hindurch und seine Hand verschwand langsam darin. Atemlos aber irgendwie auch fasziniert starrte ich ihn an. Der Saal leerte sich, da einige Angst bekamen. "Ich traue meine Augen nicht, dieser Junge muss ja übernatürliche Kräfte haben !", schrie ein alter Mann und schüttelte den Kopf. "Wenn ich das meiner Frau erzähle, lande ich nächste Woche im Irrenhaus !", brüllte ein anderer und eilte zum Ausgang. Leos Körper verschwand nun auch und als er ganz weg war, war das grelle Licht auch verschwunden. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich alleine im Saal stand. Hilflos ging ich hinunter und streckte meine Hand auch der Leinwand entgegen. Ich wollte mal sehen, ob nur er da reinkam oder ob ich das auch fertig brachte. Und tatsächlich, Leo war nicht der einzige. Das grelle Licht erschien wieder und ich befand mich nach einigen Sekunden neben Leo, welcher inzwischen wach geworden war, auf einem Feld. Es stellte sich heraus, dass wir nicht mehr den Film sehen, sondern selbst mitspielen sollten. "Mel Gibson siehst du aber gar nicht ähnlich !", das war das Einzige, was ich herausbrachte. Leo streckte mir böse die Zunge heraus. "Sonst noch was ?" Er schien sauer zu sein, obwohl ich nicht wusste warum. "Is‘ was ?", fragte ich behutsam und schaute ihm in die Augen. "Nö... Was sollen wir überhaupt hier ?", antwortete er lässig und sah sich um. "Jetzt erzähl mir ja nicht, du hättest das alles nicht mitbekommen !" Ich klopfte mir das Gras vom Pullover und setzte mich. Leo schien nichts zu kapieren, also half ich ihm ein bisschen auf die Sprünge : "Du bist plötzlich eingeschlafen und nach unten gelaufen un...". Leo unterbrach mich. "Wo, nach unten gelaufen ?". Ich erzählte ihm, was passiert war und seufzte. Plötzlich hörten wir, wie ein Haufen Pferde angerannt kamen. "O je, schnell weg hier !". Als die Pferde weg waren, krochen wir aus unserem Versteck und versuchten herauszufinden, wie wir wieder in die Realität kommen konnten. "Oh-oh! Ich glaube, wir müssen den Film korrekt bis zum Ende spielen !", meinte Leo und starrte auf seine Uhr... "Und es ist schon halb 5, der Film dauert mindestens noch eine Stunde !", fuhr er fort. Als wir nach ein paar Minuten endlich wussten, wie wir das alles machen sollten, ging alles ruckzuck. Leo und ich waren schon immer gute Schauspieler gewesen und daher fiel es uns auch nicht schwer, die Rolle der "Frau Friederich" und des "Herrn Knöller" zu spielen. Nach einer Stunde war der Film dann zu Ende. Die Verwandlung zurück zur Erde begann... !!! Wieder erschien dieses grelle Licht, aber diesmal aus Leos Bauch. "Wünsch mir Glück, ich kann mich nämlich gar nicht mehr erinnern, wie ich hierher gekommen bin !", rief er und erhob sich langsam vom Boden.

Plötzlich ertönte ein riesen Knall, wie bei einer Explosion. Ich sah gespannt zu. Doch Leo war schon verschwunden. Aber das grelle Licht war noch da. Nach Leo war ich dran... Da standen wir dann, Leo und ich. Der Saal war wieder voll gefüllt und es schien, als hätte schon ein anderer Film begonnen. Ganz benebelt gingen wir zum Ausgang und verabschiedeten uns. Leo grinste. "Was gibt’s denn da zu lachen ?", fragte ich ihn und musste auf einmal selber lachen. "Tolles Abenteuer! Aber verrat‘ mir bitte nur eins, ist das wirklich alles passiert oder habe ich das geträumt ?", fragte Leo und winkte mir zum Abschied. "Ciao!". Ich schlenderte langsam nach Hause. Als ich ankam, sagte ich meinen Eltern, dass es toll war (ich musste flunkern, denn sie hätten mir die Wahrheit nicht abgenommen). Dann ging ich in mein Zimmer und ließ mich müde aufs Bett fallen.

Am nächsten Tag klingelte das Telefon. Es war Leo. "Haste Lust auf Kino ?"...

Jil Fischer (April 2002)