Wer ist eigentlich nicht behindert ?

Samstag Nachmittag in einem Supermarkt.
- Menschen, Menschen, Menschen! Das Gebäude platzt aus allen Nähten.

Zur gleichen Zeit findet in unmittelbarer Umgebung eine Veranstaltung zur Integration behinderter Menschen statt.
- Gähnende Leere!

Wie könnte man besser beschreiben, wie es um die Integration behinderter Menschen in unserer Gesellschaft steht ?

Im Supermarkt schaue ich mir die Menschen an. Viele machen keinen ganz glücklichen Eindruck. Sind jene, die allsamstäglich von diesem Konsumtempel "angesogen" werden aus freien Stücken hier ? Stellen sie sich die Frage, wie sie ihr Leben sinnvoll gestalten können ? Hatten sie Lehrer, Eltern, Erzieher, die solche Lebensfragen an sie herangetragen haben, die sich dafür Zeit genommen haben ? Oder haben sie nur gelernt im Strom mitzuschwimmen ?

Szenenwechsel. Im Laufe der Diskussion zur Integration, an der sich Vertreter von Parteien und Vereinigungen zur Unterstützung behinderter Menschen beteiligen, werden folgende Punkte klar:

Im Moment scheint es (in der Schule und im Berufsleben) so zu laufen:

Ein verschwenderisch großer Teil der Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen wird mit ein paar einfachen Mitteln (strenge Selektionskriterien, Über- oder Unterforderung, Nicht-Beachten der individuellen Persönlichkeit,...) relativ schnell ausgegrenzt und anschließend wird dann mit sehr hohem Aufwand (sprich Kosten) versucht zu integrieren was noch zu integrieren ist. (Es gibt sogar Politiker, die bei einem solchen Modell glauben, sie hätten alles Mögliche getan,...).

In der Schule wird gelernt, dass es sich lohnt eigene Bedürfnisse permanent zurückzuschrauben um möglichst effektiv zu "lernen" (d.h. zu punkten). Schüler lernen, dass jeder der nicht mitkommt irgendwann ausgegrenzt wird. Dieses Modell setzt sich in den Köpfen fest, so dass es viele Erwachsene zur Lebensdevise machen.

"Maach et wi d’Leit, da geet et der wi de Leit."
"Eis huet et och nët geschued."
(Dieser Satz allein beweist schon sein Gegenteil.)

Es wird sich wenig um Integration bemüht, es sei denn, man wird durch einen "Fall" in der Familie quasi dazu gezwungen. Schließlich hat man doch etwas ganz anderes gelernt ! Wer nicht mitkommt, hat wohl irgendetwas falsch gemacht und muss selber schauen wie er/sie da wieder raus kommt. Und außerdem hab ich meine eigenen Probleme (Mir hilft auch niemand!). Punkt. Schluss. Und wozu haben wir denn unseren Staat ? Ende der Diskussion. Tür zu.

Im Moment steuern wir auf eine Welt zu, die einerseits immer globaler wird, andererseits immer stärker individualisiert. Anders ausgedrückt: Jeder lebt verschieden in einer gemeinsamen Welt. Käme zu diesem Modell noch Chancengleichheit hinzu, wären wir dem Ideal einer gerechten, pluralistischen Welt sehr nahe.

Übertragen auf die Schule sähe das dann so aus: Alle Kinder besuchen eine Schule. Hier bekommt jedes Kind individuelle Entwicklungsmöglichkeiten angeboten. Gefordert wird was geleistet werden kann und nicht umgekehrt !

"Aber wie soll das gehen ? Das geht doch nicht !"

Erstens, kann niemand sagen, was geht, bevor man es versucht hat.

Zweitens, muss man sich zuerst die Frage stellen was man überhaupt will. Und dann erst schauen was möglich ist, d.h. überlegen wie man die vorhandenen Mittel (Geld, Personal, Infrastrukturen) im Sinne des gemeinsamen Zieles möglichst effektiv einsetzt.
Es nützt nichts, sich ständig hinter scheinbaren (scheinbar, weil man sich nicht auf die Suche nach Alternativen macht) Sachzwängen ("zu teuer", "das geht nicht", "wir haben keine Leute",...) versteckt.

Erst wenn wir uns einig sind, dass wir eine gerechte, integrative Gesellschaft wollen, können wir uns auf den Weg dorthin begeben. Schon heute könnte der erste Schritt getan werden.

Claude Schmit
( Dezember 1999)


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